Rezension: Serge Latouche „Es reicht!“, München 2015
Sehr viele Menschen sind sich der Maßlosigkeit bewusst, auf der unser Lebensstil mit seinen verheerenden Folgen beruht. Dennoch ändert sich bislang noch viel zu wenig. Serge Latouche geht mit dieser Kalamität in seinem Buch „Es reicht! - Abrechnung mit dem Wachstumswahn“ darum zuweilen hart ins Gericht.
Unser derzeit meist vorherrschendes Wirtschaftssystem ist auf dauerndes Wachstum angewiesen wie ein Lebewesen auf seine Nahrung. Weil das so ist, wird man eine Wachstumsrücknahme systemkompatibel nicht realisieren können. Es muss sich alles ändern! Degrowth wird darum radikal als neues Gesellschaftsmodell vorgestellt, das jetzt seinen Platz finden muss, weil wir Menschen ansonsten dem Ende unserer Zivilisation höchstselbst den Weg bereiten.
Die Begrenztheit der Welt wird mit zuweilen beängstigender Klarheit vor Augen geführt. Die Fläche der Erde, die künstliche Verknappung von allem und jedem ebenso wie der geschürte Überkonsum – in allen Bereichen führen die Entwicklungen in bedenkliche Richtungen. Aber im Blick auf Weltregionen, die von den Folgen des prassenden Lebensstils bereits hart getroffen wurden, können auch neue Fähigkeiten entdeckt werden. Latouche fast das im Begriff „Bricolage“ (Frickelei, Gebastel) zusammen, und beschreibt, wie Menschen in Afrika „am Rande des Weltmarktgeschehens ein komplettes Leben aufzubauen“ in der Lage sind, indem sie ideenreich weiter- und wiederverwenden, was viele Nordhemissphärler als Abfall und Schrott entsorgen würden. Selbstverständlich, davon können und sollten wir lernen!
Wir alle könnten die Qualität unseres Lebens steigern, wenn wir nur mit der zunehmend freien Zeit besser umgingen. Der Anteil der Lebenszeit, der für die Erwerbsarbeit aufgewendet wird, ist seit dem Ende des zweiten großen Krieges von einem Drittel auf weniger als einem Fünftel geschrumpft. Statt den Versuchungen der Freizeitindustrie zu erliegen, könnten wir kulturell Sinnvolles tun. Serge Latouche konzentriert das auf seine wunderbare Aussage „Die Realisierung einer Degrowth-Gesellschaft erfordert in meinen Augen notwendigerweise eine Wiederverzauberung der Welt“. Die „Möglichkeit des Staunens vor den Gaben des „Schöpfers“ und den kunsthandwerklichen Fähigkeiten der menschlichen Geschicklichkeit“ gilt es vor den Auswüchsen der entfesselten Überfluss-Welt zu bewahren. Degrowth bedeutet nicht Darben im Mangel, sondern Zugänglichkeit resilienten Glücks.
In dem sehr lesenswerten Buch werden zahlreiche, bzw. nahezu alle Fakten, mindestens kurz, erwähnt und behandelt, auf denen die Argumentationen der Degrowth-Aktiven beruhen. Möglicherweise sitzt Latouche aber einem Missverständnis auf, wenn er beklagt: „Die technologische, prometheische Weltsicht, der zufolge wir das Universum nach unserem Gutdünken umgestalten können, ist eine Missachtung der Welt und des Seins.“, denn die Freiheit in Einsicht und Tat des Menschen ist es doch, an die auch er appelliert. Der Buchtitel „Es reicht!“ kann als Ausdruck des Protestes verstanden werden, aber auch als Erkenntnis eines Menschen, der verstanden hat, was genug ist, um glücklich zu sein. Beides, das spricht aus dem Buch, trifft auf den Autor Serge Latouche zu.