Als ich vor einigen Jahren durch eine Freundin erstmals auf die gewaltfreie Kommunikation, die vom Psychologen Marshall B. Rosenberg entwickelt worden ist, aufmerksam gemacht wurde, eröffnete sich mir ein ganz neuer Blick auf meine Mitmenschen und die Welt in der wir leben.
Am Ausgangspunkt seiner Methode stellt der Wissenschaftler sich die Frage danach, was geschieht, wenn ein Mensch die Verbindung zu seiner grundsätzlich einfühlsamen Natur verliert und schließlich gewalttätig und ausbeuterisch agiert. Marshall B. Rosenberg geht davon aus, dass die Freude am einfühlsamen Geben und Nehmen prinzipiell unserem Wesen entspricht. Was ich damals ahnte und was mich bis heute beschäftigt, ist, dass die Wurzel aller Gewalt ein Kommunikationsbruch ist. Anders ausgedrückt: Im Austausch zwischen zwei oder mehr Menschen werden die Botschaften, die sich auf die jeweiligen Bedürfnisse der am Prozess Beteiligten beziehen, nicht mehr verstanden. Das schürt schließlich den Konflikt, der in Gewalt münden kann.
Was geschieht, wenn der zum Konflikt führende Kommunikationsbruch nicht erkannt, verdrängt oder verleugnet wird, hat der Norweger Johan Galtung im Rahmen seiner Friedens- und Konfliktforschungen untersucht. Im Ergebnis bahnbrechend wurde schließlich sein Buch „Strukturelle Gewalt, Beiträge zur Friedens- und Konfliktforschung“ (Hamburg 1984), weil Johan Galtung darin darstellt, dass Gewalt auch dann vorliege, „wenn Menschen so beeinflusst werden, dass ihre aktuelle somatische und geistige Verwirklichung geringer ist als ihre potentielle Verwirklichung.“ Das nennt Johan Galtung schließlich die strukturelle Gewalt. Unsere gemeinhin etablierten Lebensverhältnisse können zwar als weitgehend friedlich erlebt werden, obwohl sie im Innersten von Gewalt getragen sind, weil es den Menschen nicht oder nur eingeschränkt möglich ist, genau das und so zu leben, wie sie es ihrer inneren Wahrhaftigkeit gemäß auch wollen. In Anwendung der Rosenberg`schen Gewaltfreien Kommunikation könnte das vor allem so gedeutet werden, dass unseren Lebensverhältnissen bezogen auf unsere Bedürfniswelt ein Kommunikationsbruch immanent ist. Konflikte sind somit vorprogrammiert.
Das Konflikte sich Eskalationsstufen folgend ereignen, hat der Unternehmensberater und Coach Friedrich Glasl in Aufsätzen und Büchern vielfach dargestellt. Er geht von drei Stufen (Win-Win; Win-Lose; Lose-Lose) aus, denen dann von ihm jeweils weitere drei Unterstufen zugeteilt werden. Schon von der Stufe 1.2 an (Die Konfliktparteien beginnen damit, den anderen überzeugen zu wollen. Meinungsverschiedenheiten führen zum Streit. Die Machtfrage bricht auf.) geht es um den Kampf um Dominanz und Unterwerfung (des Gegners). Schließlich, am Ende der Kette der Eskalationsstufen, ist der Kampf der Parteien so weit entbrannt, dass sie auch die eigene Vernichtung nicht mehr ausschließen.
Spannend ist, dass es allen Konfliktparteien unzweifelhaft um Bedürfnisse geht, für deren Umsetzung, auch dem Widerstand anderer zum Trotz, Methoden gewählt werden. Was Johan Galtung strukturelle Gewalt nennt, schleicht sich in Streitprozesse ein, indem die Parteien versuchen, einander die Artikulation und Umsetzung von Bedürfnissen zu erschweren und sogar zu verunmöglichen. Auf der elementarsten Ebene konfliktreicher Kommunikation streiten konkret beteiligte Menschen immer schärfer miteinander. Gleiches gilt allerdings auch für die Meso- (weiteres Umfeld der beteiligten Personen) und die Makroebene (Gemeinschaft aller Menschen). Das Prinzip ist immer das gleiche: Jeder Mensch ist mit Bedürfnissen gesegnet, denen er folgt. In der Begegnung von bedürftigen Menschen ereignet sich Kommunikation. Je nach dem Grad der zur Verfügung stehenden Kommunikationskompetenz, gelingt oder scheitert der Prozess. Konflikte entstehen, die schließlich zu offener oder struktureller Gewalt führen.