Die "Goldene Blüte"

(Textauszug aus meinem Buch Das Yin und Yang des Geldes)

 

Auch im alten China gab es eine alchemistische, vom Taoismus ausgehende Tradition, die besonders auf die Schriften des Lü Dongbin zurückgeführt werden kann. Lü Dongbin, einer der „Acht Unsterblichen”, der vermutlich im 10. Jahrhundert lebte, verband in seinem Werk Konfuzianismus, Buddhismus und klassischen, religiösen und alchemistischen Taoismus. Die Geschichte seiner spirituellen Entwicklung und Einweihung gehört zu den bekanntesten taoistischen Erzählungen.

 

 

 Man glaubte damals in Anlehnung an die von Lü Dongbin gemachten Erfahrungen, dass der Mensch auf dem Weg seiner spirituellen Entwicklung sieben Stufen zu absolvieren habe, die ihn vom normalen Menschen bis zur Stufe des „Gottgleichen” führen würde. Die eigentliche Unsterblichkeit erreicht der Mensch im Übergang von der vierten zur fünften Stufe durch innere Alchemie, mit der es ihm möglich ist seinen „Shengtai”, seinen „Heiligen Embryo” zu erschaffen. Der Shengtai ist ein im physischen Körper herangebildeter reiner Körper, der hernach sorgfältig gepflegt und genährt werden muss, bis er mit dem Körper des Adepten eine vollständige Einheit bildet. Der so entstandene neue Mensch wird im Taoismus als „Goldene Blüte” bezeichnet.

 

Der Prozess der Entwicklung bis zur Stufe des Gottgleichen kann von jedem Menschen bewusst aufgegriffen werden. C. G. Jung deutete das so, dass eine Person (gebildet aus dem Ego als dem sich in verschiedenen Lebensphasen und -bereichen verändernden Bild der Person und dem Selbst als ihrem Sein) mit der Außenwelt agiert, während ihr Schatten im Hintergrund verborgen bleibt. In der Spannung zwischen der Person und ihrem Schatten ereignet sich jener spirituelle Arbeits- und Entwicklungsprozess, aus dem schließlich der „neue Mensch” hervorgeht.

 

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Leseprobe: Peter Krause "Das Yin und Yang des Geldes"
Bernard Lietaers ganzheitliche Sicht auf Wirtschaft, Geld und Leben

(2024)



Bernard Lietaer war ein belgischer Finanzexperte. Zunächst galt er als weltweit bester Investmentbanker und war später als leitender Mitarbeiter der belgischen Zentralbank mit der Einführung des Euro befasst. Markant an seinem Werk ist, dass er sich in der zweiten Hälfte seines Lebens intensiv mit den Fehlern des Geld- und Finanzsystems befasste. Peter Krause wurde durch Lietaer noch kurz vor seinem Tod als Biograph autorisiert, wobei ihm ein besonderes Anliegen war, dass nach seinem Tod die spirituellen Quellen seiner Ideen offengelegt werden sollen.
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Da das höchste Selbst, das von Jung als das persönliche und zugleich kollektive Unterbewusste verstanden wurde, auch mit den Schattenaspekten einer Person, ihrem dunklen Alter-Ego verbunden ist, hat jede gute Qualität zugleich auch ihre schlechte Seite, und nichts Gutes kann in die Welt kommen ohne ein korrespondierendes Böses zu erzeugen. Es kommt also darauf an, den Gegensatz der Kräfte und Qualitäten im Sinne eines sich ergänzenden Zusammenwirkens zu verstehen. Das gilt für den einzelnen Menschen ebenso wie für die ganze Welt.

 

Jung machte das exemplarisch an den literarischen Gestalten von Faust und Mephisto fest, von denen er meinte, dass sie in jedem Menschen, also auch in ihm in einer einzigen Person erscheinen würden. Anhand dieser beiden Charaktere und ihrer spannungsreichen Beziehung zueinander hatte Johann Wolfgang von Goethe in seinem Faust-Drama jene Dramatik verdeutlicht, in die sich der um Erkenntnis und spirituelle Entwicklung bemühte Mensch der modernen Zeit versetzt sieht. Im Faust ist wesentlich, dass es nicht den einen, guten und ungestörten Weg der Entwicklung gibt, für den man gewisse Bedingungen und Tatsachen zulässt, während man andere verwirft, sondern der Ansatz, die ganze Vielfalt der fördernden und widerstrebenden Kräfte in ihrer Komplementarität zuzulassen, was auch dem Weg taoistisch-spiritueller Schulung und Übung entspricht.

 

Wenn es im Taoismus heißt, dass, wenn das Männliche und Weibliche verbunden sind, alle Dinge Harmonie erreichen, so findet sich das in der taoistisch-alchemistischen Vorstellung als die Vermählung vom Erdwasserkörper Yin (dunkles, totes, leeres, empfängliches Herz) mit dem himmlischen Geistfeuer Yang. Aus dieser Vermählung geht die „Goldene Blüte“ hervor. Jung griff das auf und beschrieb es als einen dreistufigen, alchemistischen Weg, auf dem erstens in einem vereinenden Bewusstsein Licht und Finsternis verbunden werden – Jung nannte dies die Geburt des Lichtes aus der Finsternis –, sich zweitens die chymische Hochzeit vom höchsten Himmel (Yang) und tiefster Erde (Yin) und schließlich, drittens, die Verbindung von niederem (Ego) und höherem Selbst (Selbst-Selbst) ereignen.